30. Juli 2023 | Jonas Milk |

Next Generation zur „Rebiennale"

Ein zweites Leben für alle Materialien, die bei den Kunst- und Architekturbiennalen in Venedig zum Einsatz kommen – diesem einfachen und zugleich herausfordernden Ziel hat sich das Kollektiv rebiennale verschrieben. Dessen Ursprung liegt in der „Recht auf Wohnraum“-Bewegung, die sich seit Langem darum bemüht, in der Lagunenstadt mit ihren Millionen Tourist*innen wieder Platz für die Einheimischen zu schaffen.

Statement von Marcel Özer zur Rebiennale"

Jetzt in den Kreislauf kommen

Wir müssen anders leben und anders wirtschaften, wenn wir den Klimawandel verlangsamen oder gar aufhalten wollen – das wissen wir inzwischen eigentlich alle. Und für unsere Branche, deren Einfluss sowohl auf den weltweiten CO2-Ausstoß als auch auf das Abfallaufkommen besonders groß ist, heißt das auch: wir müssen anders bauen und mit Gebäuden umgehen. Mit dem Cradle to Cradle-Designprinzip arbeiten wir daran, die Bauwirtschaft positiv zu verändern – denn Bauprodukte, Gebäude und Städte müssen kreislauffähig werden! Zusammen mit einer Abkehr von fossilen Energien, die sowohl für die Herstellung von Produkten als auch für den Gebäudebetrieb gilt, können wir so beide negativen Einflussfaktoren perspektivisch auf null reduzieren.

next generation
Portrait Marcel Özer

Kreislaufwirtschaft als Bedingung formulieren

Das Team von Rebiennale liefert hier wertvolle Ansätze, insbesondere dann, wenn sie auch die Verantwortlichen dazu bringen, von vornherein im Kreislauf zu denken und die Ausstellungen sowie den Materialeinsatz entsprechend zu konzipieren. Gerade bei temporären Installationen lassen sich Baustoffe schon jetzt gut weiterverwenden. Und was spricht dagegen, ihren Einsatz etwa bei Ausstellungen oder im Messebau als Bedingung zu formulieren?

Kurzportrait

Marcel Özer studierte Umweltwissenschaften an der Universität Stuttgart. Nach seinem Masterstudium begann er seine berufliche Laufbahn bei Drees & Sommer und war am Aufbau der neuen Abteilung „Kreislauffähiges Planen und Bauen" beteiligt. Seit 2019 ist er Manager im Bereich "Cradle to Cradle Real Estate„ bei EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer. Er arbeitet an Lösungen, um Material- und Ressourcenströme auf Gebäude- und Stadtebene in einen geschlossenen Kreislauf zu bringen.

Deutlich schwieriger ist die Implementierung bei langlebigeren Objekten – etwa im klassischen Gebäude-Bau und der Infrastruktur – und hier vor allem im konstruktiven Bereich. Das liegt zum einen an Normen, Richtlinien und einer Gesetzgebung die bislang nicht förderlich, sondern eher hinderlich bzw. überhaupt noch nicht verankert ist. Auch Anreizmodelle wie Subventionen und Fördermittel fehlen bislang ebenso wie eine Primärrohstoffsteuer oder eine CO2-Bepreisung, die etwa auch die Verschwendung grauer Energie umfasst.

Die dritte Herausforderung liegt in fehlenden Daten. Bislang wissen wir schlichtweg in den meisten Fällen nicht, wie etwas und in welcher Qualität verbaut wurde. Dieses fehlende Wissen macht die Wiederverwendung schwieriger, weil sie aufwendige Schadstoffanalysten und Aufbereitungen voraussetzt.

Jahrzehntelange Auswirkungen berücksichtigen

Umso wichtiger wäre, dass Gesetzgeber und Normausschüsse das Thema schnellstmöglich angehen. Denn immerhin entscheidet sich mit jedem Neubau heute, ob dieser – in hoffentlich vielen Jahrzehnten – als Materiallager dienen wird oder größtenteils auf der Deponie landet. Und auch die Industrie tut gut daran, kreislauffähige System-, Bauteil- und Produktlösungen zu entwickeln und sich bewusst zu machen, dass auch sie Verantwortung für das „Endprodukt Gebäude“ trägt.

Angelehnt an Steward Brands Buch „How Buildings Learn: What Happens After They’re Built” liegt für mich kurzfristig das größte Potenzial für Veränderungen und Innovationen in der Ausstattung, dem Grundriss und der Gebäudetechnik, da sich diese Systeme schneller wandeln als andere Gewerke. Während die grundlegende Form eines Gebäudes über 50, 100 oder mehr Jahre stabil und prägend bleibt, gibt es bei der Hülle möglicherweise schon nach etwa 20 Jahren einen Instandsetzungs- oder Austauschbedarf. Und im Innenausbau sind bei regelmäßigen Mieterwechseln vielleicht schon nach drei Jahren Änderungen notwendig.

Wir brauchen Mut und Experimentierfreude

Insgesamt brauchen wir von allen Beteiligten mehr Mut, Projekte auch mal anders zu denken und „wir sollten…“ durch „wir machen…“ zu ersetzen. Unsere Nachbarn in den Niederlanden sind ein gutes Vorbild: Hier entstanden schon viel früher Cradle to Cradle-inspirierte Gebäude, während man hierzulande immer noch oft auf reine normungsgebende Vorgaben drängt. Dabei hat jedes Pilotprojekt nicht nur Vorbildcharakter, sondern auch einen Mehrwert für die Zukunft. Sie zeigen, was möglich ist und auch, woran man noch arbeiten muss. Denn auch, wenn noch nicht alles perfekt funktioniert, ist jeder Schritt in die richtige Richtung besser als das Beharren auf den Status Quo.

Rebiennale ist auch in diesem Zusammenhang beispielhaft: Ihre Projekte werden zunehmend größer und längst arbeiten sie mit den Verantwortlichen der verschiedenen Pavillons auf Augenhöhe zusammen. Und das, weil sie von Anfang an nicht nur ein kluges Konzept hatten, sondern auch bereit waren, dies erst einmal im kleinen Maßstab umzusetzen, zu experimentieren und sich die dafür nötigen Materialien notfalls eben auch in „Piratenmanier“ zu organisieren.

Auch, wenn noch nicht alles perfekt funktioniert, ist jeder Schritt in die richtige Richtung besser als das Beharren auf den Status Quo.

Autor
Jonas Milk

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